Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Kundenkommunikation in der professionellen Telefonie.

Ausgangspunkt und Ziel

Seit über acht Jahren beschäftigt sich das Seminar für Sprechwissenschaft und Phonetik der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg in einem umfangreichen Forschungsprojekt mit Fragen der Kundenkommunikation in der professionellen Telefonie. Ziel der Projektarbeit liegt in der wissenschaftlich validen, datenbasierten Ableitung von Erfolgsfaktoren der Gesprächsführung im telefonischen Kundenservice (Inbound und Outbound) zur nachhaltigen Optimierung der Gesprächsqualität. Individuelle Kundenansprache, authentisch wirkende Mitarbeiter und effektive Gesprächsstrategien stellen die Grundlage für zufriedene Kunden und langfristige Kundenbeziehungen dar. Hierzu bedarf es v. a. der Erarbeitung von Qualitätsstandards der Gesprächsführung und -gestaltung, die konsequent die (bisher stark vernachlässigte) Kundenperspektive berücksichtigen. Im Zentrum unserer Untersuchungen steht daher die Frage: Was macht ein gelungenes Kundengespräch aus?
Zur Beantwortung dieser zentralen Fragestellung widmen wir uns in verschiedenen Teilprojekten Aspekten der Gesprächsführung und deren Wirkung auf die (potentiellen) Kunden. Das Spektrum reicht dabei von:

  • drittmittelfinanzierter Auftragsforschung, wie im derzeitigem Projekt mit der aok.teleservice dafacto GmbH,
  • Forschungskooperationen mit anderen Forschungseinrichtungen, z. B. mit den Institut für Deutsche Sprache in Mannheim (IDS),
  • Interdisziplinäre Forschung z. B. mit dem Institut für Wirtschaftsinformatik und Operations Research der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU),
  • interkulturelle Forschungs- und Wirtschaftskooperationen wie mit dem Phonetischen Zentrum der staatlichen Universität in Woronesh und dem dort ansässigen Global Production Center der Firma Siemens (heute: ...).

Forschungsansatz

Untersuchungsgrundlage bilden Aufzeichnungen vollständiger Gespräche, d. h. reale Gespräche zwischen Kunden und Beratern. Die Methodik und Vorgehensweise bei der Analyse orientiert sich streng an wissenschaftlichen Standards und Theorien der Gesprächsrhetorik und -analyse, Sprechwirkungsforschung sowie der Phonetik. Damit weist diese systematische Arbeitsweise einige wesentliche Alleinstellungsmerkmale auf, die sie vom Vorgehen anderer externer Experten (vorwiegend Trainer, die sich lediglich auf eigenes Erfahrungswissen bzw. angelesene Empfehlungsliteratur berufen können) unterscheidet:

  • Datenbasiertheit
    Beschreibungen, funktionale Interpretationen und Erkenntnisse orientieren sich eng am Gesprächsverlauf, den Sprechhandlungen und Reaktionen, den Formulierungen und dem Sprechausdruck beider Gesprächspartner.
  • Situationsanalyse
    Analyseschwerpunkte bilden alle Faktoren der Sprechsituation (Wer spricht mit wem wann, wo, worüber, warum und zu welchem Ziel). Damit rückt auch die Kundenperspektive ins Zentrum der Betrachtungen.
  • Signalebenen
    Alle Signalebenen werden in die Analyse einbezogen, die gesprochene Äußerung (verbale Ebene) sowie stimmlich-sprecherische Mittel (prosodische Ebene), die sich jeweils in viele Einzelkriterien unterteilen. Insbesondere die prosodische Ebene wurde bisher in Untersuchungen zur professionellen Telefonie noch nicht betrachtet.
  • Objektivität und Validität
    Die systematisch gewonnenen Erkenntnisse sind reliabel, objektiv und intersubjektiv, da sie an verschiedenen Daten durch mehrere unabhängige Analysierende gewonnen werden.

Forschungsschwerpunkte

Auf Grundlage bisheriger Erkenntnisse fokussieren wir bei der Datenanalyse und -auswertung die folgenden Schwerpunkte, die für die Vermeidung von Kundenunzufriedenheit und Konflikten, für die Herstellung von Empathie mit den Anliegen und Empfindungen der Kunden und für das Herbeiführen von wechselseitiger Verständigung sowie angemessener Klärungen und Lösungen zielführend sind:

  • Höflichkeit
    Das Management von Nähe und Distanz in der Kundenbeziehung erfolgt in den Gesprächen über eine angemessen praktizierte Höflichkeit. Häufiges Problem und Ziel ist die Balance von Höflichkeit gegenüber Unhöflichkeit und Überhöflichkeit (einen Zuwenig oder Zuviel an Höflichkeitsmarkern),
    für die die Kundenbetreuer zunächst sensibilisiert werden müssen.
  • Authentizität
    Die Signalisation von Authentizität, Natürlichkeit und Echtheit erfolgt in erster Linie über den Sprechausdruck (stimmlich-sprecherische Mittel). Grundlegend dafür ist ein flexibler Umgang mit dem Gesprächsleitfaden in Bezug auf Gesprächsführung und Gesprächsgestaltung (v. a. stimmlich-sprecherische Gestaltung, also nicht ‚verlesend’ bzw. ‚reproduzierend’ sondern ‚sprechdenkend’).
  • Transparenz
    Für die Herstellung von Vertrauen und Glaubwürdigkeit müssen Anrufgründe, Entscheidungsspielräume und Befugnisse der Agenten sowie uneinsichtige Bearbeitungsabläufe transparent gemacht werden.
  • Flexibilität
    Um Gesprächsinhalte individuell den Kundenbedürfnissen anzupassen, bedarf es einer ausreichenden Flexibilität im Umgang mit dem Gesprächsleitfaden. Wichtige Themen sollten individualisiert und situativ angemessen vertieft sowie nicht relevante Themen abgekürzt werden
    können.
  • Themenentfaltung und Informationsdichte
    Gesprächsinhalte (Themen) sollten gemeinsam mit dem Kunden etabliert und verfolgt werden. Die häufig im Leitfaden begründete Themenüberfrachtung und Informationsdichte steht oft einer geschickten Themeninitiierung und gemeinsamen Entfaltung entgegen. Agenten werden unsensibel für Kundenanliegen und die Gespräche einseitig (Dialogizität geht verloren).
  • Small Talk und Emotionalität
    Small Talk und der angemessene Ausdruck von Emotionalität dient Beziehungsgestaltung im Gespräch, einerseits als Mittel der Kontaktherstellung und -vertiefung, andererseits als Möglichkeit
    zur Entspannung formeller oder konfliktärer Situationen. Problem und Ziel ist der punktuelle und wohldosierte Einsatz von Small Talk und positiver Emotionen in den Gesprächen, um Interesse zu zeigen und Individualität, Authentizität und Natürlichkeit zu erzeugen.
  • Kundenperspektive
    Auf Basis der Analyse vollständiger Gespräche kann die Wirkung der Agentenaktion anhand der Kundenreaktion (Abwehr, Zustimmung, Ausweichen, besondere Knappheit in den Antworten) abgelesen werden. Diese Kundenreaktionen sind zugleich zentraler Anhaltspunkt für
    die Entwicklung valider Qualitätsstandards kundenorientierter Gesprächsführung. So kann eine echte Kundenbeziehung hergestellt und standardisierte Gespräche individualisiert werden.
  • Didaktisierung
    Hand in Hand mit der Forschung geht die Konzeptentwicklung zur Umsetzung erfolgversprechender Gesprächsstrategien im Arbeitsalltag. Mit unseren Schulungs- und Weiterbildungskonzepten verfolgen wir einen ganzheitlichen Ansatz, der u. a. Gesprächsziele (und die damit verbundenen oft widersprüchlichen Handlungsanforderungen), Gesprächsgrundlagen (Skripts), Gesprächsvorgaben (Standards) und Kontextmerkmale (Situativität und Arbeitsbedingungen) mit in den Blick nimmt. Die als Train-the-Trainer konzipierten Seminare und Workshops sollen den Blick für die Komplexität des Gegenstandes Gespräch schärfen, für bisher unbeachtete Phänomene (z. B. die interaktive Funktion des Sprechausdrucks) sensibilisieren und dabei konsequent den Wesensmerkmalen von Gesprächen (Prozessualität, Interaktivität, Methodizität, Reziprozität und Pragmatizität) Rechnung tragen.

Publikationen

Birner, Anne (2011): Routine im telefonischen Verkauf.
In: Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur (Hg.): Erforschung und Optimierung der   Callcenterkommunikation. Verlag Frank & Timme, Berlin, 129-152.

Bose, Ines / Bößhenz, Katja / Pietschmann, Judith / Rothe, Ingmar (2012):
„°hh hh° also von Kundenfreundlich halt ich da nIcht viel bei ihnen;“ – Analyse und Optimierung von Callcenterkommunikation am Beispiel von telefonischen Reklamationsgesprächen.
In: Gesprächsforschung - Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion. Ausgabe 12, 143-195. www.gespraechsforschung-ozs.de    (ISSN 1617-1837)

Klug, Katharina (2013):
„Ähm“ – Sind Häsitationspartikeln sprecherspezifisch? Untersuchung der Parameter Grundfrequenz und Vokalqualität.
In: Anders, Lutz Christian / Bose, Ines / Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur: Aktuelle Forschungsthemen der Sprechwissenschaft 3. Peter Lang, Frankfurt am Main, 65-94. (Hallesche Schriften z. Sprechwissenschaft u. Phonetik 43)

Klug, Katharina / König, Marie (2011):
Untersuchung zur sprecherspezifischen Verwendung von Häsitationspartikeln anhand der Parameter Grundfrequenz und Vokalqualität.
In: Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur (Hg.): Erforschung und Optimierung der Callcenterkommunikation. Verlag Frank & Timme, Berlin 175-193.

Meißner, Swetlana / Pietschmann, Judith (2011):
Rhetorische und phonetische Einflussfaktoren auf die Qualität von Telefonverkaufsgesprächen.
In: Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur (Hg.): Erforschung und Optimierung der Callcenterkommunikation. Verlag Frank & Timme, Berlin, 215-248.

Meißner, Swetlana / Pietschmann, Judith (2011a):
Zur Beurteilung der Gesprächsqualität im telefonischen Verkauf – Zwischenbericht über ein Forschungsprojekt.
In: Bose, Ines / Neuber, Baldur (Hg.): Interpersonelle Kommunikation: Analyse und Optimierung. Peter Lang, Frankfurt am Main, 303-311. (Hallesche Schriften zur Sprechwissenschaft und Phonetik 39).

Meißner, Swetlana / Pietschmann, Judith / Walther, Mathias / Nöbel, Lars (2011):
Innovative IT-gestützte Ansätze zur Bewertung der Gesprächsqualität in Telefonverkaufsgesprächen.
In: Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur (Hg.): Erforschung und Optimierung der Callcenterkommunikation. Verlag Frank & Timme, Berlin, 195-213.

Méndez, Josefine (2011):
Entwicklung eines Modells zur Analyse und Bewertung der Rhetorizität von Gesprächen in der Telekommunikation – Eine Vorhabensbeschreibung.
In: Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur (Hg.): Erforschung und Optimierung der Callcenterkommunikation. Verlag Frank & Timme, Berlin, 249-256.

Mielau, Sebastian (2011):
Emotionen und deren sprecherischer Ausdruck – ein phonetischer Exkurs.
In: Sprechen – Zeitschrift für Sprechwissenschaft. Sprechpädagogik - Sprechtherapie  - Sprechkunst. Jahrgang 8, Heft 52, 27 – 43.

Neuber, Baldur / Hirschfeld, Ursula (2013):
Sprechwirkungsforschung in der professionellen Telefonie.
In: Veličkova, Ludmila / Petročenko, Elena (Hg.): Klangsprache im Fremdsprachenunterricht (VII). Forschung und Praxis. Staatliche Universität Woronesh, 66-85. (ISBN 978-5-9273-2092-9)

Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur (2011):
Erforschung und Optimierung der Callcenterkommunikation.
Verlag Frank & Timme, Berlin. (ISBN 978-3-86596-996-5)

Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur (2011):
Optimierungsmöglichkeiten der Telekommunikation aus Sicht der Sprechwissenschaft – Überblick über Fragestellungen und Untersuchungsansätze.
In: Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur (Hg.) (2011): Erforschung und Optimierung der Callcenterkommunikation. Verlag Frank & Timme, Berlin, S. 9-28. (ISBN 978-3-86596-996-5)

Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur (2009):
Untersuchung und Optimierung von Gesprächsabläufen in der professionellen Telefonie.
In: Veličkova, Ludmila / Petročenko. Elena (Hg.): Klangsprache im Fremdsprachenunterricht (V). Forschung und Praxis. Staatliche Universität Woronesh, 93 – 101.
(ISBN 978-5-9273-1561-1)

Hirschfeld, Ursula / Zarend, Anne / Zubchenko, Marina (2011): 

Interkulturelle Aspekte der professionellen Telekommunikation in der Fremdsprache Deutsch.
In: Veličkova, Ludmila / Petročenko, Elena (Hg.): Klangsprache im Fremd-sprachenunterricht (VI). Forschung und Praxis. Staatliche Universität Woronesh, 18 – 33. 
(ISBN 978-5-9273-1876-6)

Pietschmann, Judith (2014):
Gesprächsqualität im telefonischen Kundenservice. Sprechwissenschaftliche Forschung und Möglichkeiten der Optimierung im Bereich der Callcenterkommunikation.
In: Ebel, Alexandra (Hg.): Aussprache und Sprechen im interkulturellen, medienvermittelten und pädagogischen Kontext. urn:nbn:de:gbv:3:2-24373. (Reihe: Reflexionen des Gesellschaftlichen in Sprache und Literatur. Hallesche Beiträge. Band 2) (ISBN: 978-3-86829-638-9)

Pietschmann, Judith (2011):
Wahrnehmung und Wirkung von Persönlichkeitseigenschaften von Callcenteragenten auf den Gesprächsverlauf in Kunden­ge­sprächen.
In: Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur (Hg.): Erforschung und Optimierung der Callcenterkommunikation. Verlag Frank & Timme, Berlin, 59-93.

Pietschmann, Judith / Meißner, Swetlana (2011):
Zur Qualitätsbeurteilung von professionellen Telefongesprächen in Callcentern – Überlegungen zu interkulturellen Servicegesprächen.
In:  Veličkova, Ludmila / Petročenko, Elena (Hg.): Klangsprache im Fremdsprachenunterricht (VI). Forschung und Praxis. Staatliche Universität Woronesh, 34 – 42. 
(ISBN 978-5-9273-1876-6)

Rocholl, Josefine (2011):
Angemessenheitsbeurteilung des Sprechausdrucks bei der Produktvorstellung in Telefonverkaufsgesprächen.
In: Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur (Hg.): Erforschung und Optimierung der Callcenterkommunikation. Verlag Frank & Timme, Berlin, 29-58.

Rothe, Ingmar (2011a):
Frei produzierendes und reproduzierendes Telefonieren im skriptbasierten Verkauf.
In: Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur (Hg.): Erforschung und Optimierung der Callcenterkommunikation. Verlag Frank & Timme, Berlin 95-128.

Rothe, Ingmar (2011b):
Am Leidfaden – Standardisierung im Callcenter.
In: Bose, Ines / Neuber, Baldur (Hg.): Interpersonelle Kommunikation: Analyse und Optimierung. (Hallesche Schriften zur Sprechwissenschaft und Phonetik 39) Peter Lang, Frankfurt am Main, 329-336.

Rothe, Ingmar / Pietschmann, Judith / Bose, Ines (2013):
Gesprächskompetenz interdisziplinär beschreiben und trainieren.
In: Eckert, Hartwig (Hg.): Wirtschaftsrhetorik. Ernst Reinhardt Verlag, München, 124-135.

Sachse, Tobias (2011):
Untersuchung suprasegmentaler Parameter in den Sprechausdrucksweisen von Callcenteragenten während der Gesprächseröffnung.
In: Hirschfeld, Ursula / Neuber, Baldur (Hg.): Erforschung und Optimierung der Callcenterkommunikation. Verlag Frank & Timme, Berlin, 153-174.

Walther, Mathias (2011):
Automatische Bewertung der Gesprächsqualität auf Basis mehrstufiger Modelle stimmlicher Merkmale – Zwischenbericht über ein Forschungsprojekt.
In: Bose, Ines / Neuber, Baldur (Hg.): Interpersonelle Kommunikation: Analyse und Optimierung. (Hallesche Schriften zur Sprechwissenschaft und Phonetik 39) Peter Lang, Frankfurt am Main, 313- 319.

Projektteam

Projektleitung:

Prof. Dr. Baldur Neuber
Prof. Dr. Ursula Hirschfeld

Projektmitarbeiter:

Dipl.-Sprechwiss. Judith Pietschmann
wiss. Hilfskraft Frances Arnold

Projektpartner

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